„Lichtblick“ startet neues Projekt
Sonneberg – „Ich leihe mir mal schnell einen Menschen aus.“ Klingt komisch, ist aber so. Denn mit dem neuen Projekt des „Lichtblick“ – Zentrum für Jugendsozialarbeit des Diakoniewerkes im Gebäude der Cuno-Hoffmeister-Schule Sonneberg werden ganz besondere Bücher zum „Ausleihen“ angeboten. Katrin Michelis hat als zuständige Mitarbeiterin des „Lichtblick“ jüngst die sogenannte Living Library installiert, das Anfang März im gesamten Landkreis Sonneberg angelaufen ist und für alle Interessierten bis Jahresende angeboten werden soll.
„Living Library“ – übersetzt etwa mit „lebende Bibliothek“ – hat seinen Ursprung in der Friedensbewegung der 1990er Jahre. Es handelt sich dabei keineswegs um eine Bibliothek im wörtlichen Sinn. Es ist eine Veranstaltungsform, die wie eine traditionelle Bücherei funktioniert: Leser leihen Bücher aus und bringen sie nach einer bestimmten Zeit wieder zurück. Doch bestehen diese Bücher nicht aus Papier, sondern aus Fleisch und Blut. Es sind Menschen, die von Menschen gelesen werden. Man leiht sich eine Person für ein Gespräch aus – die lebenden Bücher. Sie gehören bestimmten Personengruppen an oder verkörpern Lebensstile. Oft sind sie mit Vorurteilen, Stereotypisierung oder sozialer Ausgrenzung konfrontiert, aber gerne bereit, ihre Erfahrungen mit anderen Menschen zu teilen.
„Unsere Menschen zeichnen sich dadurch aus, dass sie aufgrund ihres Aussehens, ihrer Nationalität, ihrer Religion und Ähnlichem nicht der Norm entsprechen und deshalb diskriminiert werden“, erklärt Katrin Michelis. Es sind jedoch auch Personen vertreten, die sich aktuell in einer bestimmten Situation befinden oder gerade einen konkreten Prozess durchlaufen. Zahlreiche weitere Beispiele sind für eine Living Library denkbar, so etwa Menschen, die einen ungewöhnlichen oder wenig beliebten Beruf ausüben oder sich einem besonderen Lebensstil verschrieben haben wie Priester, Bestatter oder Veganer. Andere Möglichkeiten für lebende Bücher sind gehörlose Personen, Juden, Polizisten, Tierschutz-Aktivisten, Ex- Häftlinge, ehemalige Mobbing Opfer, Weltreisende. Die Auswahl ist schier unendlich.
„Der ‚Leser‘ hat bei der Living Library die Möglichkeit, direkt mit betroffenen Personen zu sprechen anstatt über ein gewisses Thema in einem Buch darüber zu lesen“, berichtet Michelis. „Auf diese Weise hat der Entleiher die Gelegenheit, sich mit seinen eigenen Vorurteilen auseinanderzusetzen, denn die Lebende Bibliothek funktioniert nach dem Motto: ‚Begegne deinem eigenen Vorurteil. Anstatt darüber zu reden, rede einfach mit ihm!‘“ Somit erhält der Besucher der Living Library die Chance, mit Menschen zu sprechen, mit denen er vielleicht sonst nie in Kontakt getreten wäre.
Stattfinden wird das großangelegte Projekt an verschiedenen Standorten im gesamten Landkreis jeweils in einem geschützten und neutralen Raum, wobei es sich dabei nicht zwingend um eine Bibliothek handeln muss. Katrin Michelis hat hierfür die Schulen ins Visier genommen und ist schon sehr gespannt, wie die lebenden Bücher bei ihren Entleihern ankommen werden. Unterstützung bekommt sie dabei von der örtlichen Jugendförderung des Landkreises sowie von der Sonneberger Buchhandlung, die als Kooperationspartner zu jedem Thema eine Auswahl an spezifischen Büchern bereitstellen wird, falls ein Entleiher das Eine oder Andere vertiefen möchte.